Auswanderhaus Bremerhaven & die Suche nach dem Glück
Auswandern, das Glück suchen, die Freiheit leben wollen oder einfach nur weg von Repressalien – was trieb die Menschen damals wie heute an, ihre Heimat zu verlassen und eine neues Zuhause zu suchen?
Ich bin im Auswanderhaus in Bremerhaven auf Spurensuche. Es liegt direkt am Neuen Hafen, der 1852 eröffnet wurde und von dem bis 1890 knapp 1,2 Millionen Menschen in die Neue Welt aufbrachen. Neben diesem Hafen waren es noch der Alte Hafen, die Kaiserhäfen und die Columbuskaje, die für insgesamt 7,2 Millionen Menschen, die es nach Amerika zog, als Abfahrtsorte waren.
Amerika das Land der Sehnsüchte
Für Viele war das Elend insbesondere im 19.Jh. so groß, dass sie zu jener Zeit diese gewagte Reise antragen und damit oft auch ihre Familie zurück ließen. Neben solchen „Wirtschaftsflüchtlingen“ gab es aber auch Menschen, die wegen politischer Motive auswandernden, etwa nach dem Scheitern der 1848er Revolution. Doch sind 7,2 Mio Menschen nur eine Zahl? Oder ein Name auf einer Schiffsliste? Sind es nicht viel mehr Millionen von Schicksalen? Was hat diese Menschen bewegt, ihre Heimat aufzugeben und ins Ungewisse zu gehen?
Schon immer war die Aussicht auf die Verbesserung der Lebensumstände eine wesentlicher Anreiz, seine Heimat zu verlassen, gerade für die Bewohner strukturschwacher Landstriche. Aber Auswandern auf einen anderen Kontinent über den man nicht viel wusste oder wenn dann nur vom Hörensagen und das zu einer Zeit, wo es kein Internet und kaum Informationsmöglichkeiten gab?
Schicksalsbetrachtung
Schwer vorstellbar. Doch genau dem möchte ich auf dem Grund gehen im Auswanderhaus in Bremerhaven. Einem Erlebnismuseum, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, diese Schicksale zu betrachten und zu verfolgen, was aus dem Menschen geworden ist, die ihre Heimat verlassen haben.
Ich bin selbst schon ausgewandert und könnte vielleicht auch mal in so einer Liste auftauchen. Das macht dieses Haus so wertvoll für mich. Haben es Andere auch so empfunden? Was waren ihre genauen Beweggründe zu gehen? Haben sie die Überfahrt überlebt? Sind sie glücklich geworden? Kamen sie zurück? Tausend Fragen schwirren mir durch den Kopf, während ich in der Wartehalle stehe – sie war für die Auswanderer das Tor zur Reise in die „Neue Welt“.
Verheißungsvoll ist anders
An der Kaje – der detailgenauen Rekonstruktion einer Kaianlage um 1880 – holen mich meine Gefühle ein. Hier stehen sie. Figuren die Auswanderer darstellen, die auf ihre Abfahrt warten. Es ist eine dunkle Halle. Nichts ist hier verheißungsvoll. Man spürt die Dunkelheit der Zeit. Das was die Menschen hinter sich lassen wollen. Ich laufe zwischen ihren Abbildern hindurch, schaue in ihre Gesichter und bekomme eine Gänsehaut. Diese Szenerie ist so real, so nachfühlbar, dass ich fast das Gefühl habe, hier dazu zu gehören. Und dann sind sie wieder da, die Gedanken an meine Auswanderung.
Diese Unsicherheit die geliebten Menschen vielleicht nie wieder zu sehen. Diese Panik, doch den falschen Schritt gewählt zu haben. Diese unbändige Angst vor allem Neuen. Ich habe 2011 all mein Hab und Gut verkauft und bin mit einem Koffer und meinem Rad in Richtung Südafrika gestartet. Nicht wissend, was das Leben dort wirklich für mich bereit hält. Ein Job zwar, aber unterbezahlt und mit wenig sozialer Sicherheit. Dinge die ich im abgesicherten Deutschland nie fürchten musste. Hier war ich versorgt. Ich bin gegangen, weil es mir nach Freiheit sehnte, nicht weil ich hier unter Elend, Hunger oder politischen Repressalien litt. Also ganz andere Beweggründe als die Menschen die um 18 Hundert von Bremerhaven aus starteten. Aber sind die Ängste nicht vielleicht vergleichbar?
Wie fühlt sich Auswandern an
Nun ich konnte googeln. Mir via Streetview einen Überblick verschaffen und mit Leuten vor Ort chatten oder telefonieren. Das hatten die Auswanderer von damals nicht. Und trotzdem kämpfte auch ich mit diesen existenziellen Fragen. Schwer vorstellbar für alle die es nie erlebt haben. Seinen Freunden „Lebe wohl zu sagen“ und im Kopf zu haben, das war vielleicht der letzte Blick in deine Augen. Mir zerriss es damals bald das Herz. Mein Flug ging über die Türkei nach Kapstadt. Von Frankfurt bis Istanbul habe ich ununterbrochen bitterlich geweint. Ich habe so elendig geschluchzt, dass selbst die Stuardessen, die einiges gewohnt sind, völlig überfordert mit mir waren. Auf dem zweiten Teil der Strecke, schlief ich ich vor Entkräftung, weil ich vom Weinen und Trauern vollig erschöpft war. Genau diese Gedanken und Gefühle kommen hier wieder auf inmitten der Figuren. Ob diese Menschen auch die gesamte Überfahrt getrauert und mit Sorgen gekämpft haben?
So sehr mich die Szenerie abschreckt, so sehr fesselt sie mich auch. Die Frauen und Kinder mit ihren besorgen Gesichtern. Die jungen Männer voller Hoffnung und Zuversicht. Das alles ist beeindruckend festgehalten. Unkontrolliert schießen mir die Tränen in die Augen. Herrje, ich wollte ganz sicher nicht von den Gefühlen überrollt werden, aber dieser Raum hier macht etwas mit mir. Etwas, was ich nicht kontrollieren kann, was sich gleichsam fürchterlich und gut anfühlt. Fürchterlich, weil ich mit ihnen fühle und gut, weil ich genauso gut weiß, dass es gut ausgehen kann. Denn meine Ängste gegenüber der für mich neuen Welt „Südafrika“ waren unbegründet. Aber ging es auch für diese 7 Millionen gut?
Schubladen voller Geschichte
In der „Galerie der 7 Millionen“ reiht sich ein Regal an das Andere. Übervoll mit Schubladen in denen Schicksale lagern. Hier in diesem Raum nun treten ihre ganz persönlichen Lebensgeschichten in den Vordergrund. Von einigen sind nur die Namen und das Abfahrtsdatum bekannt. Von anderen gibt es ganze Biografien. Warum zogen all diese Menschen ein Leben in der Fremde ihrer alten Heimat vor? Was waren die historischen Hintergründe der europäischen Massenauswanderung?
Hier bekommt man die Antworten auf seine Fragen und das auf sehr einfache Art und Weise. Man erhält ein Kärtchen mit einem Namen. Im Archiv und während dem ganzen Rundgang kann man dann die Geschichte dieses Menschen begleiten. Hat er die Überfahrt gut überstanden, ist er in Amerika heimisch geworden oder doch wieder zurück gekehrt? Hat er die Strapazen überhaupt überlebt? Eine bewegende Geschichte die den Besucher mitnimmt auf die abenteuerliche Überfahrt, das Ankommen oder eben nicht erreichen des Ziels. Wer sich darauf einlässt wird Antworten finden und Flüchtlinge vielleicht auch mit ganz anderen Augen sehen.
Damals wie heute.
Für mich war der Tag im Auswanderhaus in Bremerhaven ein ganz besonderes Erlebnis, weil er mich neben seiner bewegten Geschichte auch an mich selbst erinnert hat. Hier wurde ich mit anderen Auswanderern zusammen gebracht, mit ihren Ängsten und Nöten. Mit ihren Gründen die Heimat zu verlassen. Und ganz ehrlich, es fühlt sich zu keiner Zeit gut an, sein Leben und die Menschen die man liebt zu verlassen.