„Dreckig. Ich fühle mich dreckig. Immer und überall.“ Das ist die Antwort auf die Frage, wie ich mich in meinem neuen Leben hier in Brasilien fühle.Die Stadt in der wir seit April leben heißt Canaã dos Carajás und sie ist eine klassische Minenstadt. Nicht so romantisch wie im Westernfilm, aber genauso staubig. Wenn man sich die Karte der Region anschaut, dann meint man ja, wir wohnen im Amazonas und damit im dichten Regenwald. Das war auch sicherlich vor hundert Jahren noch alles dichter, grüner und lebendiger Wald, doch davon ist leider nicht mehr viel übrig.In der Schule haben wir gelernt, dass Regenwald ein in sich geschlossener Wasserkreislauf ist und alles Leben von den Pflanzen darin abängt. Das feuchte Nass fällt vom Himmel, wird von den Pflanzen aufgenommen und wieder über die Blätter abgegeben. Rodet man die Bäume, bleibt nichts als Sandwüste übrig. Und so ist es auch hier geschehen. In der ganzen Gegend findet man großen Minen die Infrastruktur, wie Straßen, Schienen oder Städte brauchen. Also mußte Platz geschaffen werden. Außerdem hat der Mensch für mehr Weideland gesorgt und dafür eben den Regenwald abgeholzt oder nieder gebrannt. Einzig Gras und Palmen wachsen hier auch auf den kargen Böden gut. Zwischen Januar und April ist Regenzeit. In diesen Monaten schauert es jeden Tag. Manchmal nur für ein paar Minuten, aber in der kurzen Zeit fällt genug Wasser vom Himmel, um der Landschaft das nötige Leben einzuhauchen.Trotzdem bleiben große unbewirtschaftete Flächen, Schotterpisten und loser Sand zurück. Und eben dieser braune Staub legt sich täglich als feine Schicht auf jede Fläche, jedes Blatt und jeden Stein. Nichts, aber auch gar nichts bleibt davon veschont. Genau wie in einer Wüste zieht der Sand in jede feine Ritze, bedeckt jede erdenkliche Fläche und natürlich auch auf die Haut der Menschen. Und so kommt es, dass ich mich hier immer dreckig fühle. In der Wohnung müssen täglich die Oberflächen gewischt werden und spätestens jeden zweiten Tag die Böden. Mit ungewaschenen Füßen, kann man sich nicht einfach mal auf die Couch lümmeln oder sich ins Bettchen kuscheln, selbst wenn man 2x am Tag wischen würde. Es käme einem trotzdem ungeputzt vor. Leute mit Reinigungsfimmel würden irre werden. Inzwischen habe ich mich schon einigermaßen daran gewöhnt und meine Tolleranzschwelle nach unten gesetzt. Aber trotzdem fluche ich noch jeden Tag darüber. Stellt euch vor, dass es nichts gibt, was sauber ist. Man kann nichts anfassen und dabei sauber bleiben. Sofort möchte man sich wieder die Hände waschen. Und ich bin wahrlich nicht pingeling, aber hier…. Man macht sich einfach ständig dreckig! In der Wohnung, im Auto, überall.Nun kann man argumentieren, dann putzt doch einfach. Wenn es so einfach wäre! 1x das Fenster oder die Autotür geöffnet, die Lüftung an oder die Scheiben runtergekurbelt und es ist direkt wieder alles voller braunem Staub. Am Anfang habe ich in der Tat noch versucht, dem Herr zu werden. Aber man resigniert. Der braune Dunst ist in der Luft. Immer. Und so wird man wohl auch immer ein ekliges Gefühl an den Händen haben, braune Fußsohlen oder quer übers T-Shirt einen dunklen Streifen vom Autogurt.Genauso kann man hier nichts kaufen, was sich neu anfühlt und sauber ist. Die Geschäfte kämpfen ja mit dem gleichen Problem. Also ist jede Packung im Supermarkt mit einer Schicht Staub belegt und ich wasche daheim erstmal alles ab, bevor es in die Schränke wandert. Das Schöne an neuen Dingen ist ja eigentlich, dass sie sich neu anfühlen. Das gibt es hier nicht. Hier fühlt sich nichts neu, sauber und unbenutzt an. Im Gegenteil. Man greift ins Regal und ekelt sich. Mir ist vollkommen die Lust auf Einkäufe vergangen.Jetzt ist Trockenzeit und das bedeutet, dass es seit Wochen nicht geregnet hat und der Regen der fiel, hat eigentlich auch nur die Staubschicht befeuchtet. Die Natur leidet unter der Trockenheit und die Blätter können nicht atmen. Ganz besonders deutlich wird das am Straßenrand. Grün ist da kein Grashalm mehr. Entlang des Weges ist jede Pflanze braun. Es ist jetzt gerade erst August und ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es die nächsten 4 Monate mit dieser Trockenheit hier weiter geht. Schon jetzt staubt und brennt es an jeder Ecke und mit Besserung ist vor Januar nicht zu rechnen.Die letzten Tage habe ich auch zunehmend riesige Windhosen über der Stadt beobachtet. Die Schwüle, die aufgeheizte Luft, dazu die Brände und der ausgedörrte Boden sind ein idealer Nährboden für diese „Wirbelstürme“. 40 Meter hoch reißt er den losen Staub und allen Müll in die Luft und bahnt sich seinen Weg durch die Stadt. Wohl dem, dessen Haus verschont bleibt. Als sei es noch nicht staubig genug. Ein geschlossenes Fenster ist kein Schutz, denn diese sind weder doppelt verglast noch isoliert. Durch die Ritzen & Schiebeleisten findet der Staub seinen Weg, besonders bei Wind.Die Steigerung von Staub ist dann Matsch. Als ich im April hier ankam, verwandelte der Regen, der auf den Sand fiel, alles zu einer matschigen rotbraunen Masse. Manche Straßen waren dann überhaupt nicht mehr befahrbar und wir mussten aufpassen, bei unseren Ausflügen nicht irgendwo stecken zu bleiben. Da war ich dann also nicht nur staubig an den Händen, sondern oft auch bis zum Knie hoch voller Pampe. Seiher trage ich auch Flip Flops. Mein ganzes Leben hatte ich noch nie solche Schuhe. Hier machen sie Sinn. Zu Hause angekommen, spült man sie einfach unterm Wasserhahn ab. Lederriemchensandalen, wie ich sie früher trug, wären hier nach kürzester Zeit ruiniert.Man ist hier also gezwungen sich damit zu arrangieren, ob es einem nun paßt oder nicht. Ob man dagegen ankämpft oder nicht. Dreck gehört hier zum Alltag. Also kann ich auch berechtigt behaupten, dass ich mich dreckig fühle.