„Collateral Crucifixion“ Berlins Julian Assange Mural & die Mahnung an freiheitliche Grundrechte
Das Künstlerkollektiv „Captain Borderline“ hat in Berlin ein Wandbild geschaffen, welches an die Verfolgung von Julian Assange durch die britische und US-amerikanische Regierung erinnern und auf die immer weiter unterdrückte Presse- und Meinungsfreiheit aufmerksam machen will.
In Erinnerung an Collateral Murder
Es ist um Ostern 2021 als das Wandbild der Weltöffentlichkeit präsentiert wird. Kein zufällig gewähltes Datum. Denn am 5. April jährte sich zum 10´ten Mal die Veröffentlichung von ‘Collateral Murder’ bei WikiLeaks. Dabei handelt es sich um ein Video, gefilmt aus dem Cockpit zweier US-Apache-Hubschrauber, welches die Ermordung von 2 Reuters-Journalisten und 11 Zivilisten auf den Straßen von Bagdad zeigt und bis heute keine rechtliche Aufklärung fand.
Die Kreuzigung Jesu
In Anlehnung an die Kreuzigung von Jesus ist auf dem Mural ein ans Kreuz genagelter Julian Assange abgebildet. Auf dem 20 Meter hohen Mural soll er als Verteidiger der Pressefreiheit gegen einen feindlichen militärisch-industriellen Komplex unter einer hybriden US-britischen Flagge dargestellt werden. Sehr beeindruckend animiert auch hier zu finden: https://captainborderline.org/collateral-crucifixion-of-julian-assange
Ostern & andere Anlässe
Ostern & die Veröffentlichung von Collateral Murders – zwei bedeutendende Anlässe also, um sich an die Geschichte zu erinnern und zu reflektieren, was sich in Sachen Pressefreiheit, Aufarbeitung von Kriegsverbrechen und der Verfolgung von Whistleblowern getan hat. Wir befinden uns im Jahr 2021 mitten in der Corona-Krise, in der juristischen Aufarbeitung des Todes von George Floyd, aber auch in einem erneut anschwellenden Konflikt in der Ukraine. Alles Events, welche traurige Höhepunkte darstellen und Hunderttausende auf die Straßen brachten und bringen.
Die Epoche der Entmeinung
Einer Zeit also, die uns alle bewegt und in der es extrem wichtig ist, unvoreingenommene Meldungen zu finden, um sich überhaupt eine Meinung bilden zu können, über die man dann diskutieren kann. Eines der wichtigsten Merkmale einer funktionierenden Demokratie also. Doch wie ist das noch möglich in einer Epoche, in der BigTec und vermeintliche Faktenfinder massiv gegen freie Meinungen und Presse vorgehen und auch nicht davor zurückschrecken, diese zu zensieren. Seien es gesperrte Twitterkonten, geschlossene YouTube Accounts, die Auslistung von Portalen in App Stores, die Reichweiteeinschränkungen auf Facebook oder sogar die Schließung von Bankkonten von Medienkonzernen.
Street Art & ein Blick in die Historie
Graffiti und Street Art waren von jeher ein Mittel, die Meinungen auf die Straße zu bringen und das, was die Menschen bewegt, sichtbar zu machen. Im 21. Jahrhundert hat es die Street-Art bis ins Museum geschafft oder wird auf Auktionen für Millionen von Dollar unter dem Hammer gebracht. Doch die Geschichte begann als illegaler Protest in Großstädten: von Mexiko über Paris bis New York. Die Hip-Hop-Kultur machte sie in den 80er-Jahren zusätzlich populär.
Pixação war eine solche Protestbewegung, die illegale Wandbemalung in São Paulo während der Militärdiktatur Brasiliens 1964-1985 an die Gebäude brachte. Tags und Slogans in einem speziellen kryptischen Stil vermittelten die Botschaften. Ähnlich wie wir sie in der Hauptstadt auch von Berlin Kidz kennen.
Die Motivation zu Collateral Crucifixion
Und auch die drei Künstler des „Collateral Crucifixion“ Murals haben einen Namen, wenn es um politikkritische Street Art geht. Seit 1999 arbeiten sie unter dem Namen „Captain Borderline“ und schaffen gesellschaftskritische und politische Murals. Die drei Künstler Shanti, Signl und Dabtar erschaffen aber nicht nur Wandbilder mit bedeutenden Statements, sondern auch Siebdrucke, Animationen, Filme und Installationen. Sie arbeiten mit NGOs wie Amnesty International, Friedensfestival Augsburg oder Colorrevolution e. V. zusammen und ihre Werke sind weltweit zu finden. Was sie von vielen anderen Größen der Muralszene abhebt ist, dass sie die Wurzeln der Street-Art nicht vergessen haben und ihre Verantwortung ernst nehmen, auf gesellschaftliche Missstände hinzuweisen.
„Wie Jesus auch, hat Assange das höhere Gut als wichtiger empfunden als sich selbst und sein eigenes Leben. Er hat seine Lebenszeit geopfert, dafür, dass wir alle mehr Weitblick bekommen.“ sagt B. Shanti.
Assange & der Ruf nach Gerechtigkeit
Assange, der derzeit im Belmarsh-Gefängnis in London inhaftiert ist, droht eine Gefängnisstrafe von bis zu 175 Jahren, sollte er an die USA ausgeliefert und wegen Vergehen unter dem Espionage Act verurteilt werden. Insgesamt umfassen 18 Beschuldigungspunkte die Washingtoner Anklage gegen ihn. Darunter Spionage und Missbrauch von Computern im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von mehr als 250.000 geheimen Dokumenten über US-Operationen und Kreigsverbrechen im Irak und in Afghanistan durch WikiLeaks.
Und dazu muss man wissen, dass KEINE von Julian Assange oder Wikileaks veröffentlichten Fakten oder Leaks, jemals falsch waren. Keine Informationen konnten je wiederlegt werden. Niemals mußte Wikileaks von dem Material was veröffentlicht wurde etwas revidieren. Zur Erinnerung wir sprechen von einer Viertelmillion wahrheitsgemäßen Dokumenten! Nur diese Plattform und das Engagment von mutigen Whistleblowern haben es ermöglicht, Unmenschlichkeit, Kriegsverbrechen und völkerrechtswidrige Ölkriege überhaupt zu dokumentieren und für die Weltöffentlichkeit zugänglich zu machen. Dafür wurden allerdings nicht die Täter vor Gericht und in Gefängnisse gebracht, sondern der Überbringer der Nachricht – Julian Assange.
Großbritanien & die nicht ganz so freie Justiz
Der Sonderermittler für Folter, Nils Melzer, hat als einzige neutrale Instanz seriöse Nachforschung bezüglich dieser Vorfälle betrieben. Er schlussfolgert, dass Julian Assange Opfer eines riesigen Schauprozesses geworden ist, dessen einziger Sinn und Zweck darin besteht, den Medien weltweit die Grenzen des investigativen Journalismus aufzuzeigen. Das eigentliche Thema dieses Rechtsverfahrens gegen Assange ist also die Pressefreiheit. Journalisten und Whistleblowern wird mit dieser Hexenjagd suggeriert, dass es ihnen genauso gehen werde, sollten sie über die illegalen Machenschaften der Regierungen berichten.
Wie sonst kann es sein, dass Präsidenten wie George Bush und einflussreiche Politiker wie Donald Rumsfeld völkerrechtswidrig ein Land wie den Irak überfallen, bombardieren und straffrei den Tod von fast einer Million Menschen verantworten können, während ein Mann wie Assange, welcher lediglich diese illegalen Machenschaften der Kriegstreiber öffentlich macht, dafür im Hochsicherheitsgefängnis landet.
Julian Assange sitzt seit 3.871 Tagen in Einzelhaft. Unabhängig von einem konkreten Einzelfall stellt gemäss der Rechtsprechung internationaler Menschenrechtsorgane Einzel- resp. Hochsicherheitshaft stets eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder gar Folter dar, wenn sie auf unbeschränkte Zeit angeordnet wird oder wenn sie als komplette sensorische oder soziale Isolation ausgestaltet ist. Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) kann eine vollständige sensorische und soziale Isolation zu einer Zerstörung der Persönlichkeit führen, weshalb diese einer unmenschlichen Behandlung gleichkommt und eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellt.
Die Auslieferung von Assange an die USA wurde im Januar 2021 von einem britischen Richter abgelehnt. Dabei ging es allerdings nicht um die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Fall. Vielmehr wurde die Nichtauslieferung damit begründet, dass man sich Sorgen um seine psychische Gesundheit mache sowie darüber, wie sich diese unter US-Haftbedingungen weiter verschlechtern könne. Ein Armutszeugnis für die britische Justiz, die ihn seit April 2019 ohne fairen Prozess gefangen hält und auch hier sehr deutlich aufzeigt, wie es um Pressefreiheit, den Schutz von Whistleblowern und Menschenrechtsverletzungen in Großbritannien bestellt ist.
Wikileaks & die Geschichte im Jetzt
Julian Assange und viele andere mutige Whistleblower haben der Weltöffentlichkeit gezeigt, wie wichtig Transparenz ist, aber auch in wieweit bereits in unsere freiheitlichen Grundrechte eingegriffen wird. Für viele war das, was Wikileaks bereits vor 10 Jahren getan hat, nicht wirklich greifbar, da es sie nicht direkt betraf.
Grundrechte im Jetzt
Doch die aktuellen Krisen zeigen sehr deutlich, dass es sehr wohl auch jeden Einzelnen von uns betreffen kann. Jeden, der Wahrheiten sucht, Fakten & Zahlen recherchieren oder seine Meinung äußern möchte. Das kann der freie Journalist sein, dessen Livestreem einer Demonstration von YouTube gesperrt wird, aber auch der kleine Twitterer, dessen Account über Nacht verschwindet, der Protestanmelder, der plötzlich vom Verfassungsschutz beobachtet wird oder die Masse, die via Contact Tracing überwacht wird. Plötzlich sind alle betroffen.
Zensur der Kunst
Und selbst in der Kunst findet wieder eine Zensur statt. So erinnern wir uns an das Lauterbach-Graffiti, welches innerhalb weniger Tage wieder aus dem Berliner Stadtbild verschwand, weil die Kritik an seiner Person nicht gewollt ist. Dabei ist es genau das, was eine funktionierende Demokratie ausmacht – verschiedene Positionen, Debatten und Konsens. Man muss es aushalten, dass andere Menschen auch andere Meinungen haben. Stattdessen aber forderte Lauterbach via Twitter dazu auf, dass Wandbilds zu zerstören, was dann auch sehr schnell geschah.
Der Pressekodex & was übrig geblieben ist
Selbst die Pressebeiträge dazu hatten nichts mit objektivem Journalismus zu tun. Weder dass man sich mit der Kunst oder der dahinterstehenden Kritik auseinandersetze, noch dass man davor zurückschreckte, wieder tief in die Diffarmierungskiste zu greifen. Beispielhaft hier der LINK zum Beitrag der Berliner Zeitung, der keinem Framingtest standhalten würde. Ganz egal wie man zu politischen Entscheidungen oder Politikern selbst steht, mit Pressekodex hat der Beitrag nichts mehr zu tun.
Wir erinnern uns: „Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen.“ und das geschieht hier einfach nicht. Wer sich mit dem Unterschied zwischen „Public Relations“ und „Journalismus“ nach dem Pressekodex befasst, wird schnell feststellen, dass es in vielen Bereichen keine objektive Berichterstattung mehr gibt. Wie also soll sich der normale Bürger noch eine fundierte Meinung bilden können, wenn die Presse nicht mehr unabhängig ist und der Zugang zu anderen Meinungen blockiert wird?
Das Fazit zum Collateral Crucifixion Mural
Das „Collateral Crucifixion“ Mural steht also nicht nur als Mahnmal für die immer noch anhaltende juristische Auseinandersetzung um Julian Assange, sondern es steht gleichermaßen für Pressefreiheit, Rechtssicherheit für Whistleblower, die Freiheit der Kunst als auch für unser aller freiheitlichen Grundrechte, welche die freie Meinungsäußerung mit einschließt.
Du möchtest die Aktion unterstützen?
Wußtest du, dass die Künstler die Wand teuer bezahlen? 15.000 EUR kostet die riesige, 20 m x 10 m breite, medienwirksame Fläche für das Mural. Mit dem Kauf eines Kunst-Siebdrucks unterstützt du den gemeinnützigen Kunst- und Kulturverein „Colorrevolution“ e.V. bei der Finanzierung dieses und anderer ihrer Projekte: https://assange.colorrevolution.de/
Wo findet man das Mural
Wer das Mural für sich entdecken möchte, der findet es an der Wilhelmstraße 149. Bitte beachtet, dass es nur zeitlich begrenzt an der Wand zu finden sein wird. Zur Orientierung bei der Anreise: Es befindet sich an der Ecke Hallisches Ufer, Willhelmsstraße und Streesemannstraße und in Fußdistanz zum U-Bahnhof Hallesches Tor (U1, U2, U3, U6) bzw. zum Willy-Brandt-Haus. Ganz in der Nähe findet ihr weitere Street Art, wie das Tommy-Weisbecker-Haus und das beliebte Elefanten Mural.
Du möchtest dich über den Fall Julian Assange informieren? Dann empfehle ich die Artikel auf Activism.org hier im LINK.
Mehr zu den drei Künstlern findest du auf captainborderline.org
Infos zum Pressekodex habe ich dir hier verlinkt.
Informationen zu Isolationshaft findest du hier:
- Standard Minimum Rules for the Treatment of Prisoners
UNO-Resolution zu den Mindestnormen für die Behandlung von Gefangenen - Rules for the Protection of Juvenilte Deprived of their Liberty
UNO-Resolution, 1990 verabschiedet - Europäische Strafvollzugsgrundsätze
Empfehlungen des Europarates von 2006 (pdf, 50 S.) - CPT-Standards
Standards des Europäischen Anti-Folterkommittees (pdf, 108 S.)